Fränkische Landeszeitung vom 23.06.2023

Das komplette Gesetzeswerk für alle verständlich machen

Georg M. Oswald zu Gast in der Feuerbach Akademie: In einer Zeit in der der Dialog schwierig geworden ist, müssen Begriffe genau definiert werden.

ANSBACH – „Sollten Gesetze für alle begreifbar sein?" – dieser Frage widmete sich die zweite Veranstaltung der Reihe „Blickwinkel 360 Grad". Am Mittwochabend war der Schriftsteller Georg M. Oswald in der Feuerbach Akademie zu Gast. Als Moderator fungierte deren Vorsitzender Dr. Malte Schwertmann.

Mit „Recht und Literatur" war diese Publikumsveranstaltung überschrieben. Dabei stand die Funktion von Sprache im Vordergrund. „Das Recht nutzt Sprache zur Regelung unseres Zusammenlebens. Dabei gilt die Sprache der Juristen als komplex, trocken und unverständlich", stellte die Akademie in ihrem Einladungsschreiben fest.
Der Schriftsteller und gelernte Jurist Georg M. Oswald beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. Acht Jahre arbeitete er als Rechtsanwalt in München, bevor er sich seiner eigentlichen Passion, der Schriftstellerei, widmete. Dabei will Oswald Mittler sein und schreibt vorzugsweise Romane, in denen sein beruflicher Hintergrund Eingang findet. Zudem verfasst er Sachbücher, schreibt für Zeitungen und Zeit-schriften Essays und Artikel.
„Nulla poena sina lege", heißt ein Leitsatz, den einst Paul Johann Anselm von Feu-erbach (1829 bis 1880) formulierte. Will heißen: Nur ein formelles Gesetz kann die Strafbarkeit einer Handlung begründen.

 

Der Präsident des Ansbacher Appellationsgerichts verfasste das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Im Gegensatz zu früheren Schriften zeichnete sich Feuerbachs Werk durch präzise, klare Sprache aus, in der die geltenden Regeln deutlich formuliert wurde. Auch das Deutsche Grundgesetz scheint vordergründig diesem Prinzip Rechnung zu tragen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im ersten Absatz des ersten Artikels. Ein Satz, den wohl jeder Deutsche kennt. Aber gerade diese allgemein postulierte Aussage bedingt, dass es vieler Zusätze bedarf, um sie im konkreten Fall anwendbar zu machen. Und genau da beginnt das Problem der Verständlichkeit.
Georg M. Oswald hat zu diesem Thema eine Anthologie herausgegeben, in der sich verschiedene Autoren unterschiedlichen Kapiteln des Grundgesetzes widmen. Ziel ist es, in diesen Essays, das komplexe Gesetzeswerk auch für Nicht-Juristen ver-ständlich zu machen. „Das Grundgesetz. Ein literarischer Kommentar" heißt dieses 2022 erschienene Buch.
Oswald selbst hat dazu das Vorwort geschrieben. Am Mittwochabend hat er es in der Akademie vorgetragen. In einer Zeit, in der der Dialog verschieden Denkender ohnehon schwierig geworden ist, sei es wichtig, Begriffe genau zu definieren – wie die Juristen es tun. Der Terminus „Freiheit" sei ein solches Beispiel, ein heute oft missbrauches Wort. Dabei werde die juristische Grundformel, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt, oft missachtet. Diese Definition findet sich sogar in Ländern, die heute eher als diktatorisch gelten, wie etwa Russland oder Nordkorea.
Diese auf Kant zurückgehende Formel sei ein Verdienst der Aufklärung, deren Ver-fechter einst auch Feuerbach war. Doch wie dieser gegen Missverständnisse, ausgelöst durch komplizierte, verwirrende Definitionen ankämpfte, so sind auch heute Kommunikationsprobleme vorherrschend. „Eine Meinung, die viele meiner Kollegen teilen", sagt Oswald. Dagegen möchte er anschreiben, in Prosa und in Sachbüchern.

MARTINA KRAMER