Fränkische Landeszeitung, 10. März 2006
Professor Peter Bofinger spricht zur Eröffnung der Feuerbachakademie Ansbach: Mehr an die eigene Stärke glauben. Um das „Hotel Deutschland" fit zu erhalten: Löhne um rund drei Prozent erhöhen
ANSBACH (sh) - Deutschland - ein volkswirtschaftlicher Geisterfahrer, zerfressen von der Globalisierungsangst? Der Würzburger Wirtschaftsweise, Professor Dr. Peter Bofinger, hielt dem bei der Eröffnung der Feuerbachakademie Ansbach den Glauben an die eigene Stärke entgegen. Um das „Hotel Deutschland" fit und attraktiv zu halten, empfahl Bofinger einen „kraftvollen Staat", der die Globalisierung als Chance versteht und deswegen Geld in die Hand nimmt. Unterstützt werden sollte dies mit einer „vernünftigen Lohnentwicklung", sprich mit regelmäßigen Erhöhungen von um die drei Prozent.
Der 1954 in Pforzheim geborene Bofinger hat unter den deutschen Volkswirtschafts-Professoren ein wenig den Ruf eines Querdenkers. Dies mag mit seinem Ansatz zusammenhängen, „ein bisschen danach zu schauen, wie andere Länder mit der Globalisierung umgehen". Der heutige Würzburger, der neben anderem den Forschungsschwerpunkt „Reform der sozialen Sicherungssysteme" hat, hofft so, ein wenig „Boden unter die Füße zu bekommen" und nicht nur auf Mutmaßungen angewiesen zu sein.
Folgt man dem Wissenschaftler auf dieser Spur, so zeigt sich, dass die deutsche Volkswirtschaft vieles anders macht als die ökonomisch erfolgreicheren europäischen Nachbarn. Als Kernpunkte hat Bofinger zum einen die relativ geringen Staatseinnahmen ausgemacht („Deutschland ist eher unterfinanziert"), zum andern die im Vergleich geringen öffentlichen Investitionen bis hin zur Bildung.
Der Wirtschaftsweise, der dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehört, erinnerte an Osterreich: Auch wenn sich Politiker aus der Alpenrepublik rühmten, wie wenig Steuern sie doch ihren Bürgern und Betrieben abnehmen, lägen die Einnahmen des Staates bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt bei 47 Prozent. Deutschland bringe es gerade mal auf 42,7 Prozent.
So gesehen, befürwortet Bofinger das Heraufsetzen des Mehrwertsteuersatzes um drei Prozentpunkte. Er persönlich hätte dies jedoch schrittweise und nicht auf einen Schlag zum 1. Januar 2007 umgesetzt. Noch lieber wäre ihm aber etwas anderes: Der Gerechtigkeit willen würde Bofinger die Mehrwertsteuererhöhung auf einen Prozentpunkt begrenzen und sich das restliche Geld über die Einkommenssteuer verschaffen. Damit würden die einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen herangezogen, aber auch die Besserverdienenden.
Das beste Mittel, die wirtschaftliche Schieflage Deutschlands wieder in den Griff zu bekommen, ist für Bofinger neben dem „kraftvollen Staat" eine andere Lohnentwicklung. Er berief sich dabei nicht nur auf den Vater des deutschen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, sondern auch auf das Beispiel anderer Volkswirtschaften.
Wie Bofinger darlegte, käme bei rund drei Prozent mehr in der Lohntüte („ein gesunder Mittelweg") auch die Inflationsrate wieder eher dahin, wo sie nach Ansicht der Europäischen Zentralbank, aber auch der früheren Bundesbank sein sollte: bei rund zwei Prozent. Dies würde angefangen von den Renten über die Realzinsen und die Staatsverschuldung bis hin zur Inlandsnachfrage der gesamten deutschen Volkswirtschaft helfen. Aussagen, wonach von 120 Euro mehr beim Lohn nur rund 30 Euro für die Kaufkraft übrigblieben, nannte der Professor eine „Milchmädchenrechnung". Die 90 Euro Unterschied könnten sich nicht in Luft auflösen. Im Übrigen benötige auch der Staat Geld.
Der Würzburger Professor hat bei den Deutschen eine „chronische Erkrankung" ausgemacht: Sie äußere sich in einer „enormen Sparmentalität" und in dem Bemühen, überall die Kosten zu senken. So wie sich bei einer unbehandelten Diabetes irgendwann Folgen bemerkbar machen (sei es an den Füßen oder bei den Augen), verhalte es sich hier: Ein erstes Signal sei die Entwicklung bei den Renten. Dabei verfüge Deutschland nach wie vor über eine auch im internationalen Vergleich leistungsfähige Volkswirtschaft. Dieses Selbstbewusstsein und das Wissen, dass Globalisierung Wohlstand fördert, sollte zu einem Umdenken helfen: Möglichst viel sparen und möglichst wenig Steuern zahlen, sei ein Irrweg.
Der Politik empfahl Bofinger, in jedem Fall den undurchschaubaren Dschungel der Altersvorsorge zu lichten. Auch sollten sofort die Minijobs abgeschafft werden.
In der Bundesregierung vertraut der Wissenschaftler auf die Kanzlerin. Sein Wunsch: Angela Merkel soll Züge von Ludwig Erhard annehmen und so ein neues deutsches Wirtschaftswunder anstoßen.
Peter Bofinger (links am Rednerpult) erhielt für seinen Vortrag in der Feuerbachakademie Ansbach viel Beifall. Er beendete sein Referat mit einem Bild, das Angela Merkel mit Zigarre in die Nachfolge von Ludwig Erhard stellt.